Seiten

Sonntag, 26. Juli 2015

25.04.2015



Das schlimme Erdbeben, welches Nepal erschüttert hat ist mittlerweile drei Monate her, seitdem habe ich nichts mehr geschrieben. Drei Wochen nach dem Beben habe ich einmal versucht, einen Blogeintrag zu schreiben, aber allein das aufschreiben hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben. Was Miriam und ich erlebt haben ist wirklich unglaublich, und es ist nicht vorbei, dieses Ereignis hat alle Vorzeichen geändert und Nepal für die nächsten 10 Jahre verändert. Die meisten von euch kennen die „Geschichte“ ja mittlerweile, trotzdem hier nochmal das, was ich drei Wochen danach aufgeschrieben habe. 

Ich würde gerne einen Blogeintrag über das Erdbeben schreiben, aber ich weiß gar nicht so richtig, wie ich die Achterbahnfahrt der letzten drei Wochen in Worte fassen soll.
Es war ein ganz normaler Samstag, ich war auf dem Markt im Restaurant 1905 um Fisch zu verkaufen, Miriam war mit Tilak unterwegs, Ballett und dann einkaufen. Der Markt war fast zu Ende und ich wollte schnell auf die Toilette gehen, also bin ich hoch zum Restaurant. Als ich gerade das Gebäude betreten wollte, haben plötzlich alle Leute um mich herum angefangen zu schreien und zu rennen, vor dem Restaurant war eine große Holzplattform die nur durch eine kleine Brücke mit festem Grund verbunden war und jeder hat so schnell wie möglich versucht da runter zu kommen. Zuerst habe ich gar nicht so richtig verstanden, was los war, aber die Plattform hat so sehr gewackelt dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich war die letzte, weil alle Leute im Gebäude auf der anderen Seite rausgelaufen sind und ich erinnere mich noch daran, dass ich mich gewundert habe dass die Leute alle ihre Taschen haben stehen lassen. Ein Teil meines Kopfes wollte den umgefallenen Stuhl wieder aufstellen der mir im Weg lag, der mit dem Überlebensinstinkt hat dann aber gewonnen und ihn mich einfach nur zur Seite schmeißen lassen. Als ich über die Brücke gerannt bin, bin ich fast über das Geländer geschleudert worden, so heftig waren die Erschütterungen. Unter der Brücke war ein kleiner Teich, das Wasser hat riesen Wellen geschlagen und sämtliches Schilf ans Land befördert. Als endlich auf festem Grund angekommen war standen dort schon ca. 10 Leute in einer Menschenkette, alle haben sich aneinander festgehalten. Sobald ich dort war hab ich absolute Panik bekommen, weil ich nicht wusste wo Miriam war. Solche Gefühle habe ich noch nie erlebt, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich glaube, ich habe der Frau die vor mir stand total in den Rücken gekniffen, weil ich so in Panik war. Das Beben ging fast 90 Sekunden, eine Ewigkeit, und als es vorbei war bin ich sofort runter gelaufen zu meinem Stand, weil dort mein Telefon war. Dort habe ich dann gesehen, was alles passiert ist, mehrere Pfeiler sind umgekippt, Flaschen von Tischen geschleudert worden usw. Die Telefone haben erst mal wegen Netzüberlastung nicht funktioniert, die zehn Minuten bis ich Tilak erreichen konnte waren glaube ich die schlimmsten in meinem Leben. Genau in der Zeit hat noch jemand versucht mir Fisch abzukaufen, ich hab gar nicht so richtig verstanden, was der von mir wollte. Ich habe immer nur auf das 1905 geguckt, ein altes Gebäude in sehr schlechtem Zustand und habe mir wie ein Mantra immer wieder gesagt, wenn das nicht umgekippt ist, dann kann der Supermarkt auch nicht umgekippt sein.

Der Supermarkt war auch nicht umgekippt, und zum Glück waren Miriam und Tilak in der Spielzeugabteilung, als es anfing haben sie sich auf den Boden gelegt und alles was dann auf sie drauf fiel waren dann nur Barbies und Fisherprice, so dass ihnen nichts passiert ist. Viele Leute, die weggelaufen sind oder einfach in einer Abteilung mit schwereren Dingen waren sind aber wohl verletzt worden, so dass der Parkplatz voll mit blutenden Menschen war, als die beiden dann schließlich rausgekommen sind. 
Sonnenuntergang auf dem Weg nach Kathmandu
Das zerstörte Haus von Ram Bahadur
Ram Bahadurs Familie vor ihrer provisorischen Unterkunft
Die ersten Tage und Wochen nach dem Erdbeben waren total verrückt, man hat wirklich alles gesehen. Von dem Mann der versucht hat mir Plastikplanen zum achtfachen Preis zu verkaufen bis zu dem, der uns seinen Jeep umsonst zur Verfügung gestellt  hat, um nach Kaule zu fahren. Von Menschen, die vor lauter Verzweiflung aggressiv wurden, über Menschen die apathisch wurden, bis zu Menschen die unglaubliches Mitgefühl zeigten und alles für ihre Mitmenschen gaben. Solche Extremereignisse kehren das innerste nach außen, und wenn es innen nicht schön aussieht, dann kommt eben auch das zum Vorschein.

Unter schwierigsten Bedingungen haben wir am dritten Tag nach dem Erdbeben die Nothilfe angefangen, insgesamt konnten wir 250 Familien mit Plastiktarps versorgen, 300 mit Lebensmitteln für zwei Wochen, ein Gesundheitscamp organisieren, ein Kindercamp, Medikamente verteilen und schließlich nach sechs Wochen nochmal an alle 300 Familien Wellblech verteilen, mit dem ein besseres Dach für den Monsun geschaffen werden kann. Wir haben bereits ein erdbebensicheres Erdsackhaus gebaut, welches das Vorbild für den Wiederaufbau sein wird und viele neue Ideen entwickelt.

Reis wird verteilt
Auch die kleinsten haben mitgeholfen...
Der Jugendklub hat uns beim Verteilen unterstützt
Miriam hat alles unglaublich tapfer mitgemacht. Es wird uns glaube ich erst so langsam klar, was alles passiert ist, sie ist auf jeden Fall noch nicht darüber hinweg. Direkt in der ersten Woche hat sie aber schon ihre alten Anziehsachen aussortiert und Spielzeuge, die sich nicht mehr braucht um diese nach Kaule zu schicken. Sie hat mir beim Packen geholfen und es mir sehr einfach gemacht, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem, diese Erfahrungen werden uns unser Leben lang begleiten, und es wird wohl Monate lang dauern, bis wir beim Röhren einer Royal Enfield oder beim Türschlagen nicht mehr zusammenzucken…
Wir waren dann zur Erholung einen Monat in Deutschland und hatten eine tolle Zeit dort, wir waren auf Texel am Strand und haben auch sonst alles getan, damit Miriam auf andere Gedanken kommt. Jetzt wo wir wieder hier sind muss sie wieder in die Schule, das schmeckt ihr nicht so gut, aber das wird auch noch hoffe ich.
Unser neues "Heim" in Kaule - leider ist das Demozentrum komplett zerstört
Miriam und Maili Maya

Auf der Baustelle von Damais Erdsackhaus


Insgesamt muss man sagen, dass Nepal ein unglaubliches Land ist. Trotz der Katastrophe und allem, was passiert ist, kommen die Menschen unglaublich schnell wieder auf die Beine. Ein Teil ist mit Sicherheit, dass man in Nepal ja immer ein wenig improvisieren muss. Ich glaube, in Deutschland wäre ein längerer Stromausfall schon eine Überforderung für viele, in Nepal ist das ja auch im Alltag nicht ungewöhnlich. Aber auch sonst, es gibt unglaublich viele Initiativen um besser und nachhaltiger das Land wieder aufzubauen, die Jugend hat ihre Stimme gefunden und es passiert unglaublich viel. So zynisch wie das vielleicht jetzt klingt, aber ich glaube manchmal stimmt es doch, dass man um besser zu werden erst das alte zerstören muss… Mit all den schlimmen Dingen, die durch das Erdbeben ausgelöst wurden, so ist es doch auch eine Chance für Veränderung, Veränderung die Nepal so dringend braucht!
Dieses Bild gefällt mir besonders gut - Das Haus ist kaputt, es wird aber sofort zum trocknen des Getreides genutzt. Lektion: Es war schlimm, aber es geht immer weiter und wir müssen nach vorne schauen!