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Montag, 31. August 2015

Grün und Braun

Gestern waren wir für einen Tag in Kaule um eine Journalistin von Al Jazeera hochzubringen, sie ist in Nepal um Hintergrundgeschichten über das Erdbeben zu recherchieren und hat Interviews mit mir und den Landwirten geführt. Ich hab natürlich gerne die Möglichkeit genutzt um einen Tag weg vom Computer und raus aus der Stadt zu kommen…

Yey, raus aus der Stadt und weg vom Schreibtisch!!!
 Wie ich ja in wohl allen meinen letzten Beiträgen immer wieder betont habe – es regnet gerade sehr viel in Nepal. Wir sind mitten in der Regenzeit, und es ist wirklich sehr nass. Für die Landwirtschaft hab das natürlich viele positive Effekte, die Landwirte sind auf das Regenwasser angewiesen und gerade wird Reis angebaut. Für die Straßen und das Leben insgesamt können die Wassermassen aber auch schlimmer Konsequenzen haben. Vor allem nach dem Erdbeben, das sowieso schon die Hänge instabil gemacht hat, kommt es jetzt zu besonders vielen Erdrutschen und Steinschlägen. Dieses Jahr gab es schon fünfmal so viele Erdrutsche wie in einem Durchschnittsjahr, und wir sind noch mitten im Monsun. 
Ein gutes Beispiel hatten wir auf unserer Fahrt. Wir sind morgens hochgefahren und an einer Stelle vorbeigekommen, die immer schon sehr eng war. Ich habe einige Risse gesehen und einen Gully, also eine Erosionsrille durch die das Wasser abläuft. Als wir abends wieder zurück gefahren sind, war die ganze Straße abgesackt und nur noch zur Hälfte befahrbar. Mit dem Motorrad ist da ja alles kein Problem, aber die großen Busse haben jetzt Probleme, die Strecke noch zu hoch zu kommen…

Die Straße morgens...
... und abends.


Der Regen hat auch zur Folge, das im Moment zwei Farben die Landschaft dominieren: Grün und Braun. Das helle Grün der Reisfelder ist weiterhin meine absolute Lieblingsfarbe, es ist so intensiv und leuchtend dass man eigentlich schon gar keine schlechte Laune haben kann, wenn man hindurch fährt. Im Gegensatz dazu sind alle Straßen braune Matschepampe. Immer wieder bleiben Fahrzeuge stecken oder fahren sich fest und es gibt Stau. Da Grün aber schöner ist als Braun, habe ich mich beim Fotografieren auf die Pflanzen und die Landschaft konzentriert :-).

Reis mit Bohnen...
Kathmandu in der Ferne
Das Schöne an der Regenzeit ist der Blick, es ist klar und kaum diesig...

Die Reisterrassen sind so schön, da sieht man das eingestürzte Haus in der Mitte fast nicht...
Und da kommt dann der ganze Regen her...
Reisterrassen im Sonnenuntergang


Meine neue Lieblingsfarbe...


Sonntag, 30. August 2015

Was macht der Schuh in der Straße?


In den letzten Tagen sind wie fast jeden Abend aus Thamel zurück in unser Apartment gefahren. Tilak hat uns auf dem Motorrad abgeholt, und immer an der gleichen Stelle an der wir auf die Ringroad abbiegen müssen ist fast mein Herz stehengeblieben, weil da irgendwas aus der Straße ragte. Ich dachte, dass sei ein Stück Metall vom Bau und gleich platzen unsere Räder und wir liegen auf der Nase, und jedes Mal ist Tilak ein nervenzermürbendes Stückchen näher an dem Ding vorbeigefahren. Gestern hab ich dann nochmal genau hingeguckt und erkannt, was das wirklich ist: Ein Schuh. Bessergesagt eine Sandale, die hochkant in der Straße steckt. Da stellt sich mir natürlich die Frage, wie kommt ein Schuh in die Straße? Und warum nimmt den niemand da raus? Seitdem marodieren diese Gedanken in meinem Hinterkopf und ich stelle mir immer weitere verschiedene Szenarien vor. Hat vielleicht ein Bauarbeiter beim planieren und asphaltieren seinen Schuh verloren und der ist da steckengeblieben? Hat er dann mit nur einem Schuh weiterasphaltiert? Nein, diese Variante muss ich verwerfen, einfach aus dem Grund dass die Straße nicht asphaltiert ist. Wir sind ja in Kathmandu… Vielleicht ist es ein geheimes Zeichen? Oder jemand wollte die Straße verschönern? Keine Ahnung, ich werde es wohl nie erfahren. 

Der Schuh!
Ich musste aber auch direkt an eine Geschichte aus meiner Kindheit denken. Eines Tage habe ich eine Straße mit dem Fahrrad überquert und habe etwas entdeckt, das mich zuerst denken ließ ich hätte Halluzinationen. Die Straße war vielbefahren, so dass ich nicht anhalten konnte um zu verifizieren, aber ein paar Stunden später bin ich mit einer Freundin als Zeugin zurück gefahren und ich hatte mich nicht getäuscht: Mitten im Asphalt war ein Gebiss, das noch halb herausguckte. Die Vorstellung eines alten Mannes (in meiner Phantasie war es immer ein Mann), der über die Straße ging, stolperte, sein Gebiss verlor und trotzdem seines Weges ging verfolgte mich noch jahrelang. Irgendwann wurde dann die Straße erneuert und das Gebiss überasphaltiert.
Als ich Miriam den Schuh gezeigt habe,  hatte sie sofort eine eigene Theorie, die so ungefähr unsere aktuellen Konfliktlinien widerspiegelt. Sie meinte, das sei ein Kind gewesen, das gesehen hat, dass ein Loch in der Straße war. Das musste natürlich gestopft werden, also hat das Kind seinen Schuh ausgezogen und in das Loch gesteckt. Dann hat die Mutter gerufen, dass das Kind schnell kommen soll weil es weiter geht und weil es Angst hatte, die Mutter schimpft sonst ist es einfach schnell gelaufen und hat den Schuh vergessen. Die Mutter hat dann allerdings trotzdem geschimpft, weil das Kind ja mit nur einer Sandale nach Hause kam. Wie man´s macht, macht man´s wohl falsch…

Dienstag, 25. August 2015

Ein Streich und ein verlängertes Wochenende in Kaule



Eigentlich wollten Miriam nur übers Wochenende nach Kaule fahren, um die neue Volontärin Lisa einzuweisen und dafür zu sorgen, dass ein kleines provisorisches Häuslein gebaut wird, damit Lisa nicht die ganze Zeit im Zelt schlafen muss. Dann hat uns aber das fantastische Streiksystem Nepals einen Strich durch die Rechnung gemacht, und wir mussten dann doch bis heute bleiben…
Für alle, die noch nicht in Nepal waren und sich jetzt fragen, was ein Streik damit zu tun hat, dass wir länger in Kaule bleiben mussten: In Nepal ist der Streik (Bandha) das Mittel der Wahl um politische Ziele durchzusetzen, wenn das auf dem „normalen“ Weg nicht klappt. Dann wird einfach mal für eine beliebige Anzahl von Tagen das ganze Land stillgelegt, Autos und Busse dürfen nicht fahren und werden angehalten (und wenn sie sich darüber hinwegsetzen auch gerne mal angezündet) und alles steht still. In Kathmandu wird an solchen Tagen auf der Ringroad Fußball gespielt und das Leben ist einfach langsamer, aber wenn man versucht den wirtschaftlichen Verlust der dem Land jedes Mal zugefügt wird zu beziffern kommt man schnell auf unglaubliche Ziffern. Im Moment geht es um die Verfassung, die ist ja in einem unglaublichen Tempo nach dem Erdbeben durchgepeitscht worden. Die Zyniker unter uns haben von Anfang an gesagt, dass das so passiert ist in der Hoffnung dass alle Nepalis gerade mehr damit beschäftigt sind, dass ihnen das Haus über dem Kopf zusammengestürzt ist als mit Feinheiten der Verfassung und dass somit auch kontroverse Punkte unbemerkt hinein gemogelt werden könnten. Und genau das ist passiert, und so langsam fällt das allen auf. Frauenrechte, Sekularismus, Rechte von Minderheiten, in der neuen Verfassung ist in all diesen Bereichen ein riesen Rückschritt getan worden und das wird natürlich nicht akzeptiert. Der Aspekt über den jetzt die Wellen hochschlagen ist jedoch weiterhin die Einteilung in administrative Einheiten. Einige Gruppen möchten diese nach Ethnien ziehen, andere nach geographischen Bedingen und so weiter. Wenn man es ganz simpel fasst ist das schon der Grund gewesen, warum es vor Jahren zum Bürgerkrieg kam, und es gibt immer noch keine Lösung für das Problem. Gestern kam es zu Zusammenstößen um Süden des Landes zwischen der Polizei und Demonstranten bei denen es auch Tote gab, und die Lage insgesamt ist ziemlich angespannt. So tragisch diese Situation für Nepal und die Nepalis aber auch ist, um uns müsst ihr uns keine Sorgen machen. Touristen oder Ausländer werden komplett aus allen Konflikten rausgehalten und für uns besteht keinerlei Gefahr! Miriam freut sich sogar immer, wenn es einen „Streich“ gibt (ihr Wort für Streik…), weil sie dann nicht in die Schule muss… 

Miriam liegt zu Tische...
Unser Zeltlager
Auch in Kaule merkt man nicht viel von den Spannungen im Land, und wir hatten fünf sehr schöne Tage weg von der Stadt. Kathmandu kann einem schon ganz schön auf den Senkel gehen, der Staub, der Matsch, der Lärm… Wir es in Kaule einfach genossen, den ganzen Tag draußen zu sein, nur Vögel und manchmal einen Bus zu hören und nicht die ganze Zeit zu schwitzen. In den fünf Tagen haben wir dann einen sehr gemütlichen Wellblechverschlag gebaut (bzw. den Bau überwacht :-)) und einen halben Urwald abgeholzt bzw. ausgerissen. Der Garten des Demozentrums sah nach vier Monaten ohne Pflege sehr wild aus und wir mussten erst mal die Wege wieder freirupfen. 



Fleißige Arbeiter...

Nepalesische Arbeitsteilung - einer macht was, fünf Leute gucken zu


Am Samstag hatte ich dann einen Marathonmeetingtag, zuerst unsere Landwirte, dann der Jugendklub und schließlich noch eine Frauenorganisation. Da keine lokale Organisation mehr Büroräume hat und auch ein Jugendklub fehlt, planen wir ein Gemeindezentrum mit Büroraum für alle, Lernort, Spielplatz, Klassenzimmer usw. Das ist ein sehr großes Projekt, aber es stößt auf sehr große Begeisterung und die Planung macht schon großen Spaß.

Mein Versuch, zu erklären wie Erdbeben entstehen...
Super Aussicht auf den Himalaya...
Miriam hat Furba besucht und sich sehr gefreut und auch unser Hund Bella war total aus dem Häuschen, weil wir endlich wieder da waren und etwas Leben im Büro herrscht. Von jetzt an haben wir auch wieder regelmäßiger Volontäre, so dass alles wieder zu einer Form von Normalität zurückfindet. Natürlich hat es viel geregnet und die Sicht war ca. 20m, aber es war trotzdem eine schöne Abwechslung von Kathmandu und Miriam wollte am liebsten gar nicht wieder zurück fahren. Jetzt hat sie ihre ersten Zwischenprüfungen in der Schule, und da waren einige Tagen Spielen im Schlamm eine willkommene Abwechslung. 

Unser neues Zuhause in Kaule. Sehr gemütlich :-)
Lecker Nudeln
Miriam kocht Drecksuppe die Zauberkräfte verleiht. Vielleicht sollte ich doch mal probieren...
Keiner rockt einen Regenschirm wie Miriam. Und wenn dieses Outfit nicht stylisch ist, dann weiß ich es auch nicht mehr!