Das schlimme Erdbeben, welches Nepal erschüttert hat ist
mittlerweile drei Monate her, seitdem habe ich nichts mehr geschrieben. Drei
Wochen nach dem Beben habe ich einmal versucht, einen Blogeintrag zu schreiben,
aber allein das aufschreiben hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben. Was
Miriam und ich erlebt haben ist wirklich unglaublich, und es ist nicht vorbei,
dieses Ereignis hat alle Vorzeichen geändert und Nepal für die nächsten 10
Jahre verändert. Die meisten von euch kennen die „Geschichte“ ja mittlerweile,
trotzdem hier nochmal das, was ich drei Wochen danach aufgeschrieben habe.
Ich würde gerne einen Blogeintrag über das Erdbeben
schreiben, aber ich weiß gar nicht so richtig, wie ich die Achterbahnfahrt der
letzten drei Wochen in Worte fassen soll.
Es war ein ganz normaler Samstag, ich war auf dem Markt
im Restaurant 1905 um Fisch zu verkaufen, Miriam war mit Tilak unterwegs,
Ballett und dann einkaufen. Der Markt war fast zu Ende und ich wollte schnell
auf die Toilette gehen, also bin ich hoch zum Restaurant. Als ich gerade das
Gebäude betreten wollte, haben plötzlich alle Leute um mich herum angefangen zu
schreien und zu rennen, vor dem Restaurant war eine große Holzplattform die nur
durch eine kleine Brücke mit festem Grund verbunden war und jeder hat so
schnell wie möglich versucht da runter zu kommen. Zuerst habe ich gar nicht so
richtig verstanden, was los war, aber die Plattform hat so sehr gewackelt dass
ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich war die letzte, weil alle Leute
im Gebäude auf der anderen Seite rausgelaufen sind und ich erinnere mich noch
daran, dass ich mich gewundert habe dass die Leute alle ihre Taschen haben
stehen lassen. Ein Teil meines Kopfes wollte den umgefallenen Stuhl wieder
aufstellen der mir im Weg lag, der mit dem Überlebensinstinkt hat dann aber
gewonnen und ihn mich einfach nur zur Seite schmeißen lassen. Als ich über die
Brücke gerannt bin, bin ich fast über das Geländer geschleudert worden, so
heftig waren die Erschütterungen. Unter der Brücke war ein kleiner Teich, das
Wasser hat riesen Wellen geschlagen und sämtliches Schilf ans Land befördert.
Als endlich auf festem Grund angekommen war standen dort schon ca. 10 Leute in
einer Menschenkette, alle haben sich aneinander festgehalten. Sobald ich dort
war hab ich absolute Panik bekommen, weil ich nicht wusste wo Miriam war. Solche
Gefühle habe ich noch nie erlebt, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr
fassen. Ich glaube, ich habe der Frau die vor mir stand total in den Rücken
gekniffen, weil ich so in Panik war. Das Beben ging fast 90 Sekunden, eine
Ewigkeit, und als es vorbei war bin ich sofort runter gelaufen zu meinem Stand,
weil dort mein Telefon war. Dort habe ich dann gesehen, was alles passiert ist,
mehrere Pfeiler sind umgekippt, Flaschen von Tischen geschleudert worden usw.
Die Telefone haben erst mal wegen Netzüberlastung nicht funktioniert, die zehn
Minuten bis ich Tilak erreichen konnte waren glaube ich die schlimmsten in
meinem Leben. Genau in der Zeit hat noch jemand versucht mir Fisch abzukaufen,
ich hab gar nicht so richtig verstanden, was der von mir wollte. Ich habe immer
nur auf das 1905 geguckt, ein altes Gebäude in sehr schlechtem Zustand und habe
mir wie ein Mantra immer wieder gesagt, wenn das nicht umgekippt ist, dann kann
der Supermarkt auch nicht umgekippt sein.
Der Supermarkt war auch nicht umgekippt, und zum Glück waren
Miriam und Tilak in der Spielzeugabteilung, als es anfing haben sie sich auf
den Boden gelegt und alles was dann auf sie drauf fiel waren dann nur Barbies
und Fisherprice, so dass ihnen nichts passiert ist. Viele Leute, die
weggelaufen sind oder einfach in einer Abteilung mit schwereren Dingen waren
sind aber wohl verletzt worden, so dass der Parkplatz voll mit blutenden
Menschen war, als die beiden dann schließlich rausgekommen sind.
Sonnenuntergang auf dem Weg nach Kathmandu |
Das zerstörte Haus von Ram Bahadur |
Ram Bahadurs Familie vor ihrer provisorischen Unterkunft |
Die ersten Tage und Wochen nach dem Erdbeben waren total
verrückt, man hat wirklich alles gesehen. Von dem Mann der versucht hat mir
Plastikplanen zum achtfachen Preis zu verkaufen bis zu dem, der uns seinen Jeep
umsonst zur Verfügung gestellt hat, um
nach Kaule zu fahren. Von Menschen, die vor lauter Verzweiflung aggressiv
wurden, über Menschen die apathisch wurden, bis zu Menschen die unglaubliches
Mitgefühl zeigten und alles für ihre Mitmenschen gaben. Solche Extremereignisse
kehren das innerste nach außen, und wenn es innen nicht schön aussieht, dann
kommt eben auch das zum Vorschein.
Unter schwierigsten Bedingungen haben wir am dritten Tag
nach dem Erdbeben die Nothilfe angefangen, insgesamt konnten wir 250 Familien
mit Plastiktarps versorgen, 300 mit Lebensmitteln für zwei Wochen, ein
Gesundheitscamp organisieren, ein Kindercamp, Medikamente verteilen und
schließlich nach sechs Wochen nochmal an alle 300 Familien Wellblech verteilen,
mit dem ein besseres Dach für den Monsun geschaffen werden kann. Wir haben
bereits ein erdbebensicheres Erdsackhaus gebaut, welches das Vorbild für den
Wiederaufbau sein wird und viele neue Ideen entwickelt.
Reis wird verteilt |
Auch die kleinsten haben mitgeholfen... |
Der Jugendklub hat uns beim Verteilen unterstützt |
Miriam hat alles unglaublich tapfer mitgemacht. Es wird uns
glaube ich erst so langsam klar, was alles passiert ist, sie ist auf jeden Fall
noch nicht darüber hinweg. Direkt in der ersten Woche hat sie aber schon ihre
alten Anziehsachen aussortiert und Spielzeuge, die sich nicht mehr braucht um
diese nach Kaule zu schicken. Sie hat mir beim Packen geholfen und es mir sehr
einfach gemacht, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem, diese
Erfahrungen werden uns unser Leben lang begleiten, und es wird wohl Monate lang
dauern, bis wir beim Röhren einer Royal Enfield oder beim Türschlagen nicht
mehr zusammenzucken…
Wir waren dann zur Erholung einen Monat in Deutschland und
hatten eine tolle Zeit dort, wir waren auf Texel am Strand und haben auch sonst
alles getan, damit Miriam auf andere Gedanken kommt. Jetzt wo wir wieder hier
sind muss sie wieder in die Schule, das schmeckt ihr nicht so gut, aber das
wird auch noch hoffe ich.
Unser neues "Heim" in Kaule - leider ist das Demozentrum komplett zerstört |
Miriam und Maili Maya |
Auf der Baustelle von Damais Erdsackhaus |
Insgesamt muss man sagen, dass Nepal ein unglaubliches Land
ist. Trotz der Katastrophe und allem, was passiert ist, kommen die Menschen
unglaublich schnell wieder auf die Beine. Ein Teil ist mit Sicherheit, dass man
in Nepal ja immer ein wenig improvisieren muss. Ich glaube, in Deutschland wäre
ein längerer Stromausfall schon eine Überforderung für viele, in Nepal ist das
ja auch im Alltag nicht ungewöhnlich. Aber auch sonst, es gibt unglaublich
viele Initiativen um besser und nachhaltiger das Land wieder aufzubauen, die
Jugend hat ihre Stimme gefunden und es passiert unglaublich viel. So zynisch
wie das vielleicht jetzt klingt, aber ich glaube manchmal stimmt es doch, dass
man um besser zu werden erst das alte zerstören muss… Mit all den schlimmen
Dingen, die durch das Erdbeben ausgelöst wurden, so ist es doch auch eine Chance
für Veränderung, Veränderung die Nepal so dringend braucht!
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